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Impression
Venedig

Aus dem Fenster geht der Blick nach Süden, Venus und ein Viertelmond am Himmel, auf dem Kanal, der Rio heißt, liegt letztes Licht im schwarzen Wasser. Die Holzbrücke verläuft schräg, die Steinbrücke gerade, über beide gehen, als hätte ein Choreograph sie bestellt, Menschen mit Schirmen, und unter den Brücken löst sich das Licht der Verkehrsampel am Ende des Rio, meistens rot, zu blinkenden Spiegelungen auf.
Aufs Wasser schauen, das ist ein Geschenk, das zeitlebens auf meinem Wunschzettel gestanden hat. Unablässig in Bewegung, wie es die Gesetze der Wasserphysik verlangen, macht es den Eindruck des Lebendigen, das sich zwischen den Massen von in Jahrhunderten hergeschifften und aufgebauten Steinen rührt, die seither von Seeschlachten und Weltreichen erzählen. Unser Rio als Tentakel eines Lebewesens, der sich über die Erde breitenden Meere, lässt sein Wasser sinken und steigen, Ebbe und Flut, weil das Wasser zwar steht, aber doch hinausführt aus der Stadt, aus der Lagune ins Meer und die ganze schiffbare Welt. All das Wasser, das sich an die Erde drückt, so sehr es nur kann, verbindet unseren Campo Castelforte mit Buenos Aires, Honolulu und Bremen.
Abends biegen Gondelkonvois mit winkenden Touristen um die Ecke, tagsüber legen Umzugsboote an, Ambulanzen oder Ölschiffe, die scheppernde Rohre über den Campo legen. Kaum je sieht man hier Karnevalsgestalten. Und heute Mittag um zwölf ein blaues Boot. Auf dem Campo stellten kostümierte Männer sich auf, mit prächtigen Umhängen, mit glänzenden Helmen, emblemgeschmückten Baretten oder Gebirgsjägerhüten quer über den Platz, Standarten, Fahnen und lange Szepter neben sich aufgepflanzt. Sie warteten. Ihnen gegenüber nahmen Frauen und ein ganz weißer Priester ihre Plätze ein, bis, eskortiert von vier weiteren Priestern, aus der Haustür des Nachbarhauses ein mit Blumen reich geschmückter Sarg herausgefahren wurde und angesichts des Spaliers zum Stehen kam. Kondolenzrituale wurden ausgetauscht. Dann war es lange still. Schließlich hob man erst das Gestell und dann der Sarg ins blaue Boot. Und als dann unter den Menschen das Aufeinanderzugehen, Gestikulieren und Sprechen zunahm, zerstreuten sich die Männer des Spaliers mit ihren Insignien, um links in den Arkaden zu verschwinden, und während die Trauernden davongingen, stellten sich drei Gebirgsjäger beim Boot auf und salutierten, bis an der Treppe ein kommunales Schiff ablegte und dann auch das blaue Boot, um ihm zu folgen mit seinem Sarg und seinen Blumen, unter der Holzbrücke durch und der Steinbrücke, über die die Menschen gingen, ohne auf das Blau und den Sarg und die Blumen zu achten. Die Verkehrsampel war grün, als die Boote auf ihrem Weg zur Friedhofsinsel in den größeren Kanal einbogen.

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