Kleiner Sommer-Rapport
César Keiser
25. September 2005:
Ich kumm grad zrugg us Venedig.
Ich ha dört, uf Yladig vonere private Stiftig, imene mittelalterlige Castello en
exklusiv Appartamento dörfe bewohne.
Venedig, e schöni Stadt, wirgglig –
guet, asträngend für Lüt imene gwüsse Alter –
ich bi in däm Johr 80 worde, my Partnere, s Läubli, isch allerdings vyl jünger,
3 ganzi Johr –
aber für mi ebitz asträngender als i dänggt ha –
Hejo, gohsch go poschte, wenn de scho n e Wohnig hesch,
und was für e Wohnig ... e mittelalterlige palazzo in San Polo, zmittst
in der Stadt, gross und grosszügig ygrichtet, en Entrée, wo de kasch
tanze so gross,
e wunderbare Salon mit ere Fänsterfront uf d Kanäl use, e Kuchi wie
bim Meisterkoch, mit alle Schikane, erstklassig möbliert, sparsam –
nummewas d bruuchsch, aber das alles usgsuecht edel und funktionell –
e Traum von ere Wohnig –
ebe – gohsch go poschte, isch jo klar –
zerscht ha mer sone carellino kauft, praktisch, kasch d Wasserfläsche drin
verstaue, der Wy, der Orangschesaft, d Melone, s Brot und d Tomatte und
d Spaghetti und dr prosciutto, muesch nüt heimtrage, kasch alles heimzieh,
natürlig nit eifach gradus, s goht au über d Brüggli übere, wo über d Kanäl
füehre, wo du drüber muesch, damit du wider heimkunnsch,
d Stäge duruff, äne wider durab ...
Hier gibts keinen
geraden Weg beispielsweise –
Jeder Weg endet,
kaum hat die Reise begonnen,
an einer Mauer, einer Ecke, am nächsten Kanal –
kein Steg, keine Strecke ist Weg, ist nur Umweg
nach hier oder dort –
wo du bist, weisst du nie
denn hinten ist vorn
und die Brücken sind steil
und links meint nach rechts
oder das Gegenteil.
Also linggs in das Gässli yne, wo uf der Platz füehrt, wo du dra wohnsch –
nei das isch falsch, rächts gohts dure – jä Gopf – stimmt au nit – nomol
zrugg und ins andere Gässli
und über säll Brüggli ...
e schöni Stadt, das Venedig, aber wie gseit: asträngend, wenn de nümm
70 bisch ...
Was ich denn in däm Venedig mach, het me mi gfrogt,
Was ich in diesem Venedig treibe
was ich hier schreibe –
Das ist, tut mir leid, Geheimsache,
das ist, wie fast immer bei mir
Reimsache –
Venedig, e wunderbari Stadt, allerdings heiss, im Summer, und lutt, und voll
Touriste, ufem Markusplatz hets 1000 Tuube, und 5000 Touriste –
Wottsch in d Kirche, denn stohsch a und stohsch a, in dreiviertel Stund bisch
esowytt vorne in der Schlange, dass de gsehsch,
Nei, s längt doch nümm – jetzt mache si nämmlig d Kirche zue –
jänu -
derfür hani ebitz Zytt gha, mir z überleege - -
Was tu ich hier in dieser fremden Stadt
wo niemand nach mir ein Verlangen hat,
wo niemand mich grüsst,
weil niemand mich kennt,
wo s kein Bein interessiert,
wie ich im Moment
drauf bin,
Pipilotti hats gut,
die schwebt –
venezianischer Nackedei
durch San Stae
ich gönn es ihr
aber ich –
ma io
der ich völlig inkognito
durch die Stadt spazier –
was tu ich denn hier ...?
Was ich in diesem Venedig treibe?
Das Einzige was ich kann: ich schreibe –
Nichts von Belang, nichts von Wichtigkeit
ich vertreib mir die Zeit
mit Wortgeplänkel ohne tieferen Sinn
mit Gedanken, die mich wie Mücken umschweben
die ich fassen muss, damit sie Ruhe geben –
wie gesagt, das beginnt geheim
und endet – ob ich will oder nicht
meist im Reim
Venedig, die Stadt, das muss man ihr lassen
ist nicht nur anstrengend, ist auch anregend
anregend aufregend, kreislaufbewegend,
lungengeschnauf
brückauf und brückab
regt auf und regt an
das Gedankenspiel:
eine Stadt ohne Strassen, ohne Verkehr
ohne quietschende Trams
das gibts, bitte sehr ...?
Eine Stadt ohne Parkplätze
vor der Confiserie
dem Modeladen
dem PickandPay?
Ohne Bussengeschrei
ohne Kinderwagendeckende Auspuffschwaden
das gibts, bitte sehr?
Nein –
das kann doch nicht sein,
tut mir leid
und drum
das vorläufige End vom Gedicht:
Venedig, das gibts einfach nicht!
ganz unter uns
dieses Jahr
ist
DAS JAHR DAS VENEDIG WAR!