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Impression
Venedig

Persönlich gab es eine Kanalerinnerung eigener Art. Lange Zeit lag auf einem meiner Bücherregale eine venezianische Träne. Ein Gebilde aus Glas, eigentlich ein Abfallprodukt, entstanden beim Glasblasen, etwas Missratenes, das zu einem gloriosen Namen kam, nur in wenigen Läden erhältlich, sorgfältig in Seidenpapier gehüllt. Als ich meine Träne einmal einem Besucher vorführte, benahmen sich die Finger ungeschickt. Der Glastropfen zerbarst, eine Souvenir-Träne, die nicht trocknet, sondern zu Staub zerfällt. Noch immer nicht wissend, worüber einst geweint worden war. Oder gab es auch bei Tränen das Ungefragte, so dass sie ungefragt vergossen werden.

Ich habe an die Kanalstadt als Souvenir eine Rechnung behalten. Da ich einmal längere Zeit als Amphibium lebte, hatte ich mich mit einigem Gepäck ausgerüstet, das mir ein Transporteur ins Haus brachte. Verrechnet wurden erstens die Meter der Weglänge, dann die Anzahl der Brücken, über die die Koffer und Taschen geschafft werden mussten, und als letzter Posten das Total sämtlicher Brückenstufen.

Nach der Matura hatte es für eine Reise nach Venedig gereicht. Die erste Fahrt ins Ausland. Kaum hatte ich, spät abends, in einer Etagenpension mein Zimmer bezogen, brach ich auf: Wo geht’s zum Meer? Was sich nach der Kanalfahrt an Wasser auftat, war Lagune. Also nahm ich den vaporetto zum Lido: Wo geht’s zum Meer? Dort, wo zu dieser späten Stunde nichts zu erkennen war. Ich entdeckte das Meer nicht übers Auge, sondern übers Ohr. Wellen, die anstürmten und sich verloren. Wie ich tief einatmete, spürte ich die Adria in Mund und Lunge und einen salzigen Wind im Gesicht. In irgendeiner Ferne ein Leuchtturm. Mir, dem Binnenländer, war, als könnte man Meeres- trunken sein, und nicht nur, weil ich über einen Strandstuhl stolperte. Ich hatte keinen Grund, länger zu verweilen. Ich musste anderntags noch einmal den Strand aufsuchen, wenn draussen am Horizont von den Schiffen zuerst ein rauchender Kamin oder Maste auftauchten, und ich endlich den optischen Beweis erlangte, dass die Welt, auf die ich gekommen war, rund ist.

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