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METER IN UNA COSSA ZUFE ZAFE E CERVÈLO
(Venezianisch: das durchsetzen was man im Kopf hat, Grips, Auffassungsgabe, Scharfsinn)

Wenn ich in einem Gespräch meine Einladung zu einem Aufenthalt von sechs Monaten in Venedig erwähnte, kriegten meine Freunde glänzende Augen und erwartungsvoll stellten sie meist die gleiche Frage: Was wirst du dort machen? Meine Antwort war knapp: Ich werde sechs Monate zum Fenster hinaus schauen. Einige reagierten lachend bis begeistert auf meine Ankündigung, andere wurden wütend und es fiel ihnen schwer zu akzeptieren, dass einer der immer tut, einmal nichts tun will.

In der ersten Zeit habe ich wirklich kein ‚Werk’ geschaffen. Aus zwei Gründen: In den letzten Jahren, vor allem seit der digitalen Revolution, gibt es sicher keinen Mangel an Bildern. Ich habe mir gedacht, Abstinenz sei für mich persönlich die beste Reaktion. Der zweite Grund war die Masse der Venedigbilder, die mich bei meiner Ankunft überschwemmten und die nicht gerade erstmalige Feststellung: es gibt offensichtlich kein Bild das nicht schon tausendfach gemacht worden ist, also brauche ich dem nicht unbedingt etwas beizufügen.

Dass ich meinem Entschluss gegenüber, nichts zu tun, untreu wurde, daran tragen auch die Touristen Schuld. Ich fragte mich, sehen die Touristen etwas wenn sie über Venedig herfallen? Sind sie überhaupt in der Lage etwas visuell zu speichern. Oder blicken sie nur durch das Objektiv einer Video- oder Digitalkamera, um das ‚Sehen’ auf später zu verschieben, auf ein Später, das Lichtjahre von der Realität entfernt sein wird? Mit diesen Gedanken hatte ich sie bereits in meinen Besuch integriert, als Bestandteil von Venedig. Ich habe sie künftig wie ein Gemälde in einer Kirche angeschaut oder wie Objekte einer Ausstellung. Ich habe dann regelmässig die Touristen besucht. Also auch Touristen bieten Besonderes. Ich habe zu ihnen immer mehr den Zugang gefunden, trotz ihrer gelegentlichen Einfalt und Fantasielosigkeit, aber auch zu ihrer Schönheit in ihrer Verliebtheit und herrlichen Euphorie. Ich würde mich nie getrauen bei uns so nah an die Leute heran zu gehen, mit dem Weitwinkel zu fotografieren, nicht in einem Abstand von 50 Metern, sondern fast mit Körperkontakt. Aber in Venedig ist irgendwie alles ausser sich, alle sind ausser sich! Aus dieser Distanzlosigkeit heraus sind Intime und ‚echte’ Fotografien entstanden, wie ich sie seit Jahren nicht mehr gemacht habe.

Etwas was ich noch versucht hatte war: Venedig völlig aus dem Spiel zu nehmen, also den Versuch: Venedig existiert nicht! Nach kurzer Zeit habe ich gemerkt, das geht nicht. Venedig schleicht sich über hunderttausend Dinge hinterrücks wieder in deine Geschichte hinein und präsentiert sich mit absoluter Macht, mit einer Kraft, die du gar nicht negieren kannst.

Eines ist sicher: dieser Aufenthalt und Venedig, wie mein Besuch im Jahr 1960, hat mich vor einigen Selbstbeschränkungen befreit und auch dazu geführt, dass ich anders auf Bilder blicke und meine eigenen Bilder anders als vor Venedig aussehen. Und mein neues Spielfilmdrehbuch heisst; ‚Fantasmi di laguna’ (Gespenster der Lagune).

Herzlichen Dank für dieses einmalige ‚Honigschlecken’!

Peter von Gunten

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