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Impression
Meine Zeit im Castelforte Venezia 1.2. – 31.7.2023

Sonntagnachmittag, der letzte Tag meines Aufenthaltes im Palazzo. Sanft tritt das bläuliche Licht durch die Vorhänge und taucht den Salon in eine kühle sanfte Atmosphäre. In dieser nachmittäglichen Sonntagsstille lasse ich die Bilder und Töne; die Erfahrungen der letzten Tage, Wochen und Monate vorüberziehen, denn nun gilt es Abschied zu nehmen. Ja – als Gast wird die Zeit eingeteilt; erst die Tage, die zu Wochen und diese schliesslich zu Monaten ineinanderfliessen. Wie war der Anfang und wie ist es jetzt?
War ich nicht schon immer hier?
Ich werde sie missen, diese Zeiten des angeregten ziellosen Schlenderns, des müssigen Nichtstuns,
aber auch die Zeiten der Leere.
Anfangs hat mich die Neugierde hinausgetrieben, zuerst in die nahe Umgebung; Murano, Burano, Lido, Cioggia, Sabbione und immer wieder Torcello … Diese Ausflüge in die Lagune haben mir ein Gefühl für den Ort gegeben und ein Verständnis für das Entstehen und Bestehen der Stadt. Jeden Tag habe ich mir ein Ziel vorgenommen; eine Kirche oder ein Museum, einen Garten oder ein Gebäude. Auf dem Rückweg habe ich mich treiben lassen, um verloren zu gehen. Dieses Spiel lässt sich ohne Ende wiederholen und immer komme ich erfüllt mit neuen Eindrücken und Bildern zurück. Niemals habe ich einen Ort, eine Stadt so unerschöpflich in ihren Schönheiten erlebt.
Und die nächtlichen Spaziergänge, wo die Stille hörbar wird, nur die Möven als Begleiterinnen und das sanfte Wiegen der Wellen. Das Herumstreunen am frühen Morgen, wenn die Stadt noch ruhig daliegt und nur zögerlich aus dem Schlaf erwacht. Einzelne Gestalten gehen über Brücken, kommen aus dunklen Gassen, vielleicht mit dem Hund oder einem Karren.

Oft fühlte ich mich wie in einer grossen Wiege durch das ständige sanfte Wogen des Wassers – hin und her und auf und ab. Dieses Gefühl, das sich im Körper festsetzt, begleitet mich manchmal mehrere Tage und Nächte.
Bodenlosigkeit spüren, leben ohne festen Grund unter den Füssen, dies ergibt eine ungeheure Leichtigkeit des Erlebens. Man spürt nicht nur die Grundlosigkeit, man sieht sie auch in den Spiegelungen des Wassers. Schöner Schein. Man glaubt zu schweben, wie auch die Stadt sich bei gewissen atmosphärischen Bedingungen aus dem feinen farbigen Nebeldunst zu erheben scheint.
Von Venezia aus habe ich andere Städte besucht; Trieste, Verona, Padova, Vincenza und Florenz. Diese kurzen Unterbrüche auf die „Terra ferma“ haben wieder Boden gegeben und das Träumerische, Irreale von Venezia in ein realeres Licht gerückt.

Das Arbeiten ging wie von selbst. Zeichnungen, Tuschmalereien und Schriftbilder sind ohne Mühe entstanden zwischen den Zeiten des Lesens und Schauens und Lernens. Mithilfe des Internets habe ich Italienisch gelernt, sodass ich jetzt Bücher lesen kann. Leider gab es wenig Möglichkeiten, die Sprache aktiv anzuwenden, da der Kontakt mit Einheimischen nicht einfach ist und ich eher eine scheue Person bin.

Ein paar Besuche haben ein wenig Struktur und Rhythmus gebracht – aber am meisten habe ich das Alleinsein geliebt, die Ruhe, das fliessen lassen, das in Tag und Nacht hineinleben können.

Konzerte im Konservatorium und Kirchen, ein internationales Literatur Festival, Film- und Theatertage sowie Talks in der Schweizer Botschaft oder im deutschen Studienzentrum haben genug Anregung und geistiges Futter ergeben.
Bis zum letzten Tag habe ich neue Plätze und Orte gefunden und war immer wieder von Neuem fasziniert.

Und jetzt bin ich seit einem Monat zurück in einem anderen Alltag. Die Bilder, die Stimmungen und Geräusche, die langen Nachmittage im Palazzo, die Spaziergänge und Ausflüge sind tief in mir verankert und ich schaue in Dankbarkeit zurück auf eine abwechslungsreiche wunderbare Zeit in Venezia.

Almens, 1. September 2023
Cécile Wick